Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Urteil verkündet am 28.07.2005
Aktenzeichen: 3 Sa 98/05
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 87 Abs. 1 Ziff. 6
ZPO § 520
1. Eine Berufungsbegründung bezüglich eines erstinstanzlich ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsantrages ist für den Fall erforderlich, dass der Arbeitnehmer - wie in erster Instanz - auch in der Berufungsinstanz mit seiner Kündigungsschutzklage obsiegt, der Arbeitgeber aber auch für diesen Fall die erstinstanzliche Verurteilung zur Weiterbeschäftigung angreifen will.

2. "Kommt/Geht-Daten" eines Arbeitnehmers, die von Dritten maschinell erfasst werden, ohne dass Betriebsrat und Arbeitgeber des Beschäftigungsbetriebes des Arbeitnehmers eine Betriebsvereinbarung über die Verwertung dieser Daten abgeschlossen haben, unterliegen einem Beweisverwertungsverbot. Stehen andere Beweismittel als die von Dritten erhobenen Daten zum Beweise von Falschaufschreibungen des Arbeitnehmers nicht zur Verfügung, kann eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses dieses Arbeitnehmers nicht damit begründet werden, er habe einen "Arbeitszeitbetrug" begangen. Der die Falschaufschreibungen bestätigende, dafür aber Rechtfertigungsgründe anführende Vortrag des Arbeitnehmers im Prozess, der "hilfsweise" erfolgt für den Fall, dass das Gericht ein Beweisverwertungsverbot für die von Dritten maschinell erhobenen Daten nicht anerkennen würde, darf ebenfalls nicht verwertet werden.


Landesarbeitsgericht Bremen Im Namen des Volkes

Aktenzeichen: 3 Sa 98/05

Verkündet am: 28. Juli 2005

In dem Berufungsverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Bremen - Dritte Kammer - aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2005 durch

den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 12.01.2005 - Az.: 7 Ca 7391/04 - wird auf ihre Kosten als unbegründet zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung.

Der am 23.12.1946 geborene und verheiratete Kläger ist seit dem 01.02.1973 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist tätig in der Funktion Leiter des Außenlagers und in diesem Zusammenhang als Einsatzleiter des Coil-Außenlagers zuständig. Sein monatliches Bruttoeinkommen beträgt durchschnittlich € 3.113,50 bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche.

Bei der Beklagten, die auf Werkvertragsbasis für die St. Bremen auf deren Gelände tätig ist und die auf der Hütte 80 Arbeitnehmer beschäftigt, ist ein Betriebsrat gebildet.

Auf die Forderung der St. Bremen hin werden auch die Anwesenheitszeiten der externen Mitarbeiter, die auf dem Gelände der Hütte tätig sind, erfasst; so auch die des Klägers. Diese Zeiterfassung der St. Bremen wird für die Lohnfindung der Beklagten nicht herangezogen. Die Lohnabrechnung erfolgt auf der Basis der manuellen Erfassung der jeweiligen Anwesenheitszeiten.

Die Beklagte führte eine Überprüfung der Stundenaufschreibung des Klägers durch mit der Feststellung, dass die durch die Zeiterfassung bei den St. Bremen erfassten und die vom Kläger manuell aufgeschriebenen Stunden voneinander abweichen. Eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat der Beklagten über die Auswertung der von den St. Bremen erfassten Mitarbeiter der Beklagten ist nicht abgeschlossen worden.

Am 08. und 09.07.2004 wurde der Kläger angehört. Am 09.07.2004 wurde der Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung angehört. Das Anhörungsschreiben hat u.a. folgenden Wortlaut:

"Die Kündigung ist aus folgenden Gründen erforderlich:

Ein Abgleich der uns von den St. Bremen zur Verfügung gestellten Daten "Kommt-Geht-Sätze aus SAP" (Anlage) und den von Herrn A. (selbst) verschriebenen und letztlich zur Auszahlung gekommenen Stunden, weist in dem überprüften Zeitraum jeden Monat erhebliche Differenzen zugunsten von Herrn A. aus. Wir verweisen als Beweis auf die beigefügten Anlagen:

1) Kommt-Geht-Sätze St. Bremen

2) Verschreibungslisten von Herrn A.

3) Erfassungsbelege, die anhand der unter 2) genannten Verschreibungslisten erstellt wurden

Herr A. räumte auf Befragen am 08.07.2004 und 09.07.2004 ein, dieses Fehlvergehen in vollem Bewusstsein getan zu haben. So erklärte er in Gegenwart von Herrn M. und Herrn W. , dieses bereits seit 8 1/2 Jahren so gemacht zu haben. Er sah aber hierin kein Fehlverhalten, da er für die Firma "so viel" getan habe und dies nicht besonders vergütet bekommen habe.

Zu keiner Zeit hat es seitens der Firma Herrn A. gegenüber in irgendeiner Form Zusagen gegeben, sich in derartiger Form nicht erbrachte Arbeitsleistung bezahlen zu lassen.

Im Gegenteil, Herr A. , der selbst Vorgesetzter ist und somit Vorbildfunktion hat, hat es verstanden, seine Vorgesetzten zu täuschen, indem er sie im Glauben ließ, täglich bis 17:00 Uhr bzw. 16:30 Uhr anwesend gewesen zu sein, obwohl er regelmäßig das Firmengelände vorzeitig verlassen hat."

Auf Bl. 27 + 28 d. A. wird verwiesen.

Mit Schreiben vom 12.07.2004 hat der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung widersprochen. Mit Schreiben vom 13.07.2004, dem Kläger am 14.07.2004 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos und mit Schreiben vom 19.07.2004 hilfsweise fristgerecht zum 28.02.2005. Eine Abmahnung wurde nicht erteilt.

Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger mit seiner am 29.07.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Der Kläger hat vorgetragen:

Es treffe zu, dass seine eigenen Zeitaufschreibungen von den "Kommt/Geht"-Zeiterfassungen der St. Bremen abwichen. Konkrete Arbeitszeiten seien ihm jedoch nicht vorgegeben worden. Eine Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitbeginn und -ende gebe es nicht. Er habe für sich eine standardisierte Arbeitszeit von 07.00 Uhr bis 16.30 Uhr bzw. 17.00 Uhr aufgeschrieben, auch wenn er das Werksgelände bereits um 06.30 Uhr oder erst um 08.00 Uhr betreten habe. Dies gelte auch, wenn er bis spät in die Nacht Schicht- und Urlaubspläne bei sich zu Hause erstellt habe. Ihm sei nicht vorgeschrieben worden, seine Arbeitszeit in vollem Umfang auf dem Werksgelände der St. Bremen zu erbringen. Ihm sei es gestattet gewesen, administrative Tätigkeiten wie die Erstellung von Urlaubsplänen, Vertretungslisten, Arbeitseinsatzplanungen u.ä. zu Hause am heimischen PC zu erstellen und dies bei der Notierung der Stundenzahl zu berücksichtigen. Entsprechend sei er stets zu Hause erreichbar gewesen. Er habe keine Vergütung für nicht erbrachte Stunden erschlichen. So habe er in den Monaten Januar bis Juni 2004 außerhalb des Werksgeländes der St. Bremen zahlreiche Arbeitsstunden erbracht, u.a. für die Erstellung des Jahresurlaubsplanes 2004, Telefonate mit Schichtführern wegen der Änderung von Arbeitsabläufen, Schichtplanänderungen, Einkäufe von Arbeitsschutzartikeln, Dienstfahrten etc. (wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 50 - 52 d. A. Bezug genommen). Er sei mit Kenntnis der Beklagten viele Jahre so verfahren. Die Kündigung verstoße gegen das Ultima-Ration-Prinzip. Sofern die Beklagte die bisherigen Handhabung ändern wolle, müsse sie zunächst eine entsprechende Anordnung bzw. eine Abmahnung aussprechen.

Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.07.2004 beendet worden ist;

2. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.07.2004 beendet wird;

3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziffer 1) und/oder zu Ziffer 2) wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Leiter des Außenlagers weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Die Überprüfung der Stundenaufschreibungen des Klägers habe gravierende Abweichungen zwischen den vom Kläger aufgeschriebenen Stunden und dem Zeiterfassungssystem der St. Bremen ergeben. In der Anhörung am 09.07.2004 habe der Kläger eingeräumt, Stunden aufgeschrieben zu haben, die er nicht gearbeitet habe, dies aber als Äquivalent für sein im Übrigen überobligatorisches Tun betrachtet.

Eine Absprache mit dem Kläger, so verfahren zu dürfen, habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Eine Hochrechnung der Beklagten habe allein für den Zeitraum Januar 2004 bis Juni 2004 einen Mehrbetrag von € 3.363,07 brutto zzgl. Arbeitgeberanteile ergeben.

Der Kläger habe konkret festgeschriebene Arbeitszeiten. Die Kernarbeitszeit erstrecke sich von 06.00 Uhr bis 14.00 Uhr. In einem Bestätigungsschreiben vom 21.12.1993 sei auf die Arbeitszeit gemäß Betriebsvereinbarung für die Werkstattmeister abgehoben worden (auf Bl. 77 f d. A. wird Bezug genommen).

Dem Kläger sei auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin ein Büro in einem Container errichtet worden. Der Beklagten sei nicht bekannt gewesen, dass der Kläger standardisierte Arbeitszeiten von 07.00 Uhr bis 16.30 Uhr bzw. 17.00 Uhr aufgeschrieben habe, und zwar auch dann, wenn er bereits um 06.30 Uhr das Werksgelände der St. Bremen betreten habe bzw. erst um 08.00 Uhr. Dem Kläger sei auch nicht gestattet worden, administrative Tätigkeiten wie die Erstellung des Urlaubsplanes, Vertretungslisten und anderes zu Hause zu erstellen. Der Kläger sei weiter nicht in der Regel zu Hause erreichbar gewesen. Es werde bestritten, dass er die von ihm in den Monaten Januar bis Juni 2004 dargelegten Arbeiten erbracht habe. So sei der Jahresurlaubsplan 2004 gemeinsam vom Kläger und vom Mitarbeiter R. während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz erstellt worden; auch die Schichtpläne seien in überwiegender Zahl gemeinsam von dem Kläger und dem Mitarbeiter R. am Arbeitsplatz erstellt worden, in Abwesenheit des Klägers auch häufiger vom Mitarbeiter R. allein.

Das Arbeitsgericht hat am 12.01.2005 das folgende Urteil verkündet:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.07.2004 beendet worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.07.2004 beendet wird.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Leiter des Außenlagers weiterzubeschäftigen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Der Streitwert wird auf € 12.454,00 festgesetzt.

6. Die Berufung wird - soweit sie nicht bereits kraft Gesetzes statthaft ist (§ 64 Abs. 2 Buchst. b bis d ArbGG) nicht gesondert zugelassen.

Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Bl. 89 - 93 d. A. verwiesen.

Dieses Urteil wurde der Beklagten am 17.03.2005 zugestellt. Die Beklagte hat mit einem am 12.04.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 17.05.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil mit Rechtsausführungen an und rügt insbesondere, dass das Arbeitsgericht die Darlegungs- und Beweislast zu Lasten der Beklagten überspannt habe. Nachdem unstreitig der Kläger standardisierte Zeiten aufgeschrieben habe, die nicht der tatsächlichen Lage der von ihm erbrachten Arbeitsleistungen entsprochen hätten, hätte der Kläger seinerseits darlegen und beweisen müssen, dass er tatsächlich an den jeweiligen Arbeitstagen Heimarbeit in dem Umfang erbracht habe, dass damit die von ihm aufgeschriebenen Arbeitszeiten arbeitstäglich erreicht würden. Dem genüge die Darstellung des Klägers nicht. Aus den überreichten Unterlagen ergebe sich, dass der Kläger einen Abrechnungsbetrug begangen habe. So habe der Kläger am 05.01.2004 1 Stunde 21 Minuten und 57 Sekunden zu viel abgerechnet. Aus den beigefügten Auflistungen für die Monate Februar 2004 bis Juni 2004 ergäben sich die Zuvielaufschreibungen. Die in erster Instanz vom Kläger pauschal vorgetragenen Tätigkeiten seien nicht angefallen. Die Aufstellung des Urlaubsplans 2004 sei mit Herrn R. durchgeführt worden. Die Tätigkeiten hätten beide im Betrieb bei den St. Bremen geleistet. Zu Hause habe der Kläger nicht gearbeitet. Auch habe der Kläger nicht 3 Stunden wegen der Änderung von Arbeitsabläufen mit den Schichtführern telefoniert. Insoweit habe eine Befragung im Betrieb stattgefunden, die dieses Ergebnis nicht bestätigt habe. Auch die Telefonabrechnungen für das Betriebstelefon ergebe, dass im fraglichen Zeitraum vom 01.12.2003 bis 31.07.2004 insgesamt 29,49 Minuten von dem Betriebsanschluss mit dem Hausanschluss des Klägers telefoniert worden sei. Zeiten für die Umorganisation und Bestellung von Arbeitskräften wegen Krankheitsausfall, die vom Kläger mit 4 Stunden als Heimarbeit angegeben worden seien, seien nicht angefallen. Diese Tätigkeiten würden von den Schichtführern wahrgenommen. Die Bearbeitung von Urlaubs- und Zeitgutschriften nähme maximal eine halbe Stunde in Anspruch. Der Kläger habe keine 6 Stunden im Januar für Einkäufe von Arbeitsschutzartikeln und weiteren Hilfsmitteln bei der Firma K. sowie 2 Stunden für eine Dienstfahrt zur Firma K. aufgewendet. Herr M. von der Firma K. habe bestätigt, dass der Kläger von Oktober 2003 bis Juni 2004 dort keine Ware abgeholt habe. Für Februar würden die angegeben Zeiten für Telefonate wegen Arbeitsablaufänderungen bestritten, sie seien nicht nachvollziehbar. Die Position Krankheitsumdisposition werde bestritten, da insoweit die Schichtführer zuständig seien. Die Position Abrechnung Urlaubs- und Zeitgutschriftstage werde zum einen mengenmäßig bestritten, zum anderen sei überhaupt nicht nachvollziehbar, dass und warum der Kläger hier tätig geworden sein solle. Entsprechende Tätigkeiten habe allein das Lohnbüro vorzunehmen. Die Position Schichtplanänderung obliege den Schichtführern. Im Übrigen werde auch die Position auswärtige Fahrten bestritten. Bzgl. der Fahrten zur Firma K. würden die 3 Stunden, die hier vom Kläger angesetzt worden seien, ebenfalls bestritten. Für den Monat März gelte bzgl. der Jahresurlaubsplanung 2004 dasselbe, ebenfalls bzgl. der Position Telefonate mit Schichtführern, Krankheitsumdispositionen. Die Position Urlaubs- und Zeitgutschriftsgewährung sei unverständlich. Für die Position Schichtplanänderung, Einkäufe, Dienstfahrten gelte das Gleiche wie in den Vormonaten. Dies gelte auch für die Monate April, Mai und Juni. Der Kläger habe mithin in nicht erheblicher Weise dargelegt, dass er Heimarbeit in dem angegebenen Umfang geleistet habe. Bzgl. der Anhörung des Betriebsrats sei darauf hinzuweisen, dass die entsprechenden Unterlagen, die auch in der Berufungsinstanz vorgelegt wurden und auf Bl. 134 d. A. näher bezeichnet sind, dem Betriebsrat vorgelegen hätten. Die Tarifverträge der Metallindustrie seien auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 12.01.2005 - 7 Ca 7391/04 - wird aufgehoben;

die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Berufungsklägerin und Beklagten zurück zu weisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit Rechtsausführungen. Er vertritt die Auffassung, dass die Heranziehung der von den St. Bremen erfassten Anwesenheitszeiten des Klägers in diesem Rechtsstreit nicht verwertbar seien, da insoweit ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG vorliege.

Seit dem 01.01.1994 sei es zudem selbstverständlich gewesen, dass der Kläger jederzeit auch zu Hause Ansprechpartner zu seien hatte und dass er sowohl auf dem Werksgelände als auch außerhalb des Werksgeländes habe seine Tätigkeiten verrichten dürfen. Es sei zu keinem Zeitpunkt vom Kläger verlangt worden, ausschließlich auf dem Werksgelände der St. Bremen tätig zu sein. Die "Standardisierung" der Arbeitszeiten sei von der Beklagten nie beanstandet worden. Deshalb habe der Kläger in der Tat keinen Anlass gesehen, exakt nach genauer Uhrzeit die Vielzahl seiner Tätigkeit einzeln zeitmäßig und von der Dauer her mit dem jeweiligen Zweck zu erfassen. Dem Kläger sei es auch nicht mehr möglich, im Nachhinein nach Minuten und zeitlicher Lage genau längst vergangene Arbeitszeitabschnitte zu rekonstruieren. Die Beklagte verkenne den immensen Arbeitsaufwand, den der Kläger habe aufwenden müssen, um die Urlaubspläne EDV-gerecht aufzubereiten und darzustellen. Diese Tätigkeit habe der Kläger ausschließlich zu Hause an seinem PC verrichtet. Die Dateieingabe, das Formatieren und Einfärben der jeweiligen Tabellen und das Vorbereiten für den betriebsinternen Aushang habe einen hohen Zeitaufwand erfordert, den der Kläger zu Hause verrichtet habe. Die schlichte Dateieingabe sei in der Tat zum Teil mit dem Zeugen R. durchgeführt worden. Die gesamte Feinabstimmung, das optische Aufbereiten der Daten und die geeignete Darstellung habe der Kläger vollständig alleine und zu Hause durchgeführt. Die Beklagte habe bei ihrer Befragung nicht alle Schichtführer berücksichtigt, deshalb könne der unsubstantiierte Vortrag die Arbeitszeitangaben des Klägers nicht widerlegen. Zudem seien die Schichtführer nicht als Zeugen benannt. Der Jahresurlaubsplan habe auch stets zu Hause vorgelegen. Der Kläger habe die Firma K. nicht nur aufgesucht, wenn er konkret Gegenstände abgeholt habe. Der Kläger habe auch inhaltliche Besprechungen durchgeführt, Muster eingeholt und Bestellungen zur Anlieferung aufgegeben. Sein Ansprechpartner sei auch nicht der als Zeuge angegebene Herr Moritzer, sondern Herr B. gewesen. Arbeitsablaufänderungen seien mit dem Kläger auch telefonisch abgesprochen worden, das Gleiche gelte für Krankheitsumdispositionen, für die die Schichtführer nur in seltenen Ausnahmefällen zuständig seien. Die einzelnen "Z"-Stunden hätten ebenfalls in den Arbeitsaufwandszeiten verbucht werden müssen. Die entsprechenden Aufzeichnungen und Abgleichungen habe der Kläger stets zu Hause verrichtet. Soweit der Kläger Mehrarbeitsstunden aufgeschrieben habe, habe er diese auch tatsächlich verrichtet. Ausdrückliche Anordnung von Mehrarbeit sei bei der Beklagten seit Übernahme seiner Leitungstätigkeit nicht mehr üblich gewesen und sei auch nicht erfolgt. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats werde weiter bestritten.

Dass die tatsächliche Dauer seiner Arbeitsaufzeichnungen nicht mit der Arbeitserbringung identisch sei, sei aus Gründen der Vereinfachung erfolgt. Dies sei von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt gerügt worden. Der Beklagten sei stets bekannt gewesen, dass der Kläger einen Teil seiner Arbeitsleistung außerhalb des Werksgeländes der St. Bremen erbracht habe. Wolle die Beklagte leitende Mitarbeiter und Leitungsfunktionen, die zudem einen vollkontinuierlich arbeitenden Betrieb leiten sollten, ausschließlich vor Ort beschäftigen, wären hierfür mindestens drei Arbeitskräfte erforderlich, um nicht mit den Arbeitszeitregelungen in Konflikt zu geraten. Nur durch das weit über das Übliche hinausgehende, engagierte Tätigwerden des Klägers sei es in der Vergangenheit möglich gewesen, diesen Betriebsbereich auf dem Gelände der St. Bremen im Bereich der Coil-Adjustage adäquat zu führen.

Das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsplatzes überwiege.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechelten Schriftsätze, insbesondere auf die Berufungsbegründungs- und die Berufungserwiderungsschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten war im Hinblick auf den in erster Instanz festgesetzten Streitwert, der dem Beschwerdewert entspricht, statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung hatte in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Beklagte hat die von ihr behaupteten und vorgetragenen Vertragsverstöße des Klägers auf nicht rechtmäßige Weise erlangt, da sie mit dem Betriebsrat keine Betriebsvereinbarung über die Verwertung der von der Firma St. Bremen durch eine technische Einrichtung, die dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, erfassten Daten ihrer Arbeitnehmer abgeschlossen hat.

a) Nach § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitzubestimmen. Die Zeiterfassungsgeräte sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Instanzgerichte Einrichtungen gemäß § 87 Ziff. 6 BetrVG (vgl. LAG Düsseldorf DB 1978 S. 459; LAG Berlin DB 1984 S. 2098; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, 21. Aufl., § 87 Rdz. 244; Däubler/Kittner/Klebe, 7. Aufl., § 87 Rdz. 166 m.w.N. auf Rechtsprechung Literatur). In der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer ist unstreitig geworden, dass es eine Betriebsvereinbarung über die Verwertung der von den St. Bremen erfassten Daten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Beklagten, die zwischen der Beklagten und ihrem Bremer Betriebsrat abgeschlossen sein müsste, nicht gibt. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht aber auch in den Fällen, in denen die Daten von Dritten erhoben werden (vgl. BAG AP Nr. 23 zu § 75 BPersVG; GK-Wiese, 6. Aufl., § 87 BetrVG Rdz. 123; LAG Baden-Württemberg, BB 1999 S. 1439; LAG Sachsen-Anhalt NZA-RR 2000 S. 476; LAG Hamburg BB 1985 S. 2111).

Mitbestimmungswidrig vom Arbeitgeber erlangte Informationen unterliegen einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BAG AP Nr. 23 zu § 75 BPersVG; LAG Sachsen-Anhalt a.a.O.; LAG Baden-Württemberg a.a.O.; Klebe in DKK a.a.O.; GK-Wiese a.a.O. Rdz. 123; Fischer BB 1999 S. 154; Grunsky ArbGG, 7. Aufl., § 58 Rdz. 3).

b) Die Beklagte hat nicht durch eigene Wahrnehmungen, nicht durch eigene Zeugen die von ihr behaupteten Verstöße des Klägers erkannt und/oder wahrgenommen. Sie hat sich allein auf einen Abgleich der von den St. Bremen erfassten "Kommt/Geht-Daten" des Klägers einerseits und den handschriftlichen Aufzeichnungen des Klägers im Betrieb der Beklagten andererseits berufen. Das einzige Beweismittel für einen evtl. Verstoß des Klägers sind damit die rechtswidrig erlangten maschinellen Aufzeichnungen der St. Bremen. Diese kann die Beklagte nach herrschender Auffassung, der die Kammer folgt, nicht verwerten. Da ihr andere Beweismittel für Falschaufschreibungen des Klägers nicht zur Verfügung stehen, ist die Klage schon aus diesem Grunde begründet.

Die Einlassungen des Klägers in diesem Rechtsstreit, die aufgrund des Vortrags der Beklagten und der Vorlage der unterschiedlichen handschriftlichen und maschinellen Aufzeichnungen erfolgt sind und die eine Differenz der Aufzeichnungen "zugeben", allerdings dafür Rechtfertigungsgründe anführen, müssen ebenfalls außer Betracht bleiben. Anderenfalls könnte die Beklagte durch die Verwertung derartiger Aufzeichnungen und eine prozessual erforderliche Einlassung des Klägers Vorteile erlangen. Der Kläger ist so zu stellen, als wenn die Beklagte die Aufzeichnungen nicht verwertet hätte. Eine Kündigung hätte dann von der Beklagten nicht mit diesen Vorwürfen begründet werden können. Der Kläger wäre nicht gezwungen, eine Kündigungsschutzklage einzureichen und - hilfsweise - auch zu den Vorwürfen der Beklagten Stellung zu nehmen, nachdem er bereits auf das Verwertungsverbot hingewiesen hat.

2. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen will, ergibt sich nichts anderes.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Prüfung, ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, zunächst zu fragen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, die gegenseitigen Interessen abzuwägen und alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände vollständig und widerspruchsfrei zu berücksichtigen (vgl. dazu: BAG AP Nr. 42 zu § 626 BGB; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rdz. 83). Die außerordentliche Kündigung ist also nur zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist (vgl. BAG EzA § 626 BGB n.F. Nr. 66; Stahlhacke-Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl. Rdz. 454; KR-Fischermeier, a.a.O. Rdz. 251). Bei der Interessenabwägung ist Maßstab, ob unter Berücksichtigung der im konkreten Fall schutzwürdigen personenbezogenen Interessen des Gekündigten eine so starke Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen des Kündigenden vorliegt, dass das Kündigungsinteresse gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des Gekündigten überwiegt (vgl. KR-Fischermeier, a.a.O., Rdz. 239).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Instanzgerichte, der die Kammer folgt, ist davon auszugehen, dass nur solche verhaltensbedingten Gründe für eine ordentliche Kündigung in Betracht kommen, die der Arbeitnehmer bei der Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere bei der Erbringung der Arbeitsleistung herbeigeführt hat (vgl. BAG AP Nr. 6 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund müssen die verhaltensbedingten Gründe nicht so schwerwiegend sein, dass sie für den Arbeitgeber die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen. Es genügen vielmehr solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen (vgl. BAG, EzA, § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 10). Dabei ist nicht von dem Standpunkt des jeweiligen Arbeitgebers auszugehen. Es gilt vielmehr ein objektiver Maßstab. Als verhaltensbedingter Kündigungsgrund kommt daher nur ein solcher Umstand in Betracht, den ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber zur Kündigung bestimmen kann (vgl. BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG, EzA, § 611 BGB Abmahnung Nr. 5). Eine ordentliche Kündigung ist in der Regel nur dann durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt, wenn dieser schuldhaft gegen die ihm obliegenden Verpflichtungen verstoßen hat (vgl. BAG AP Nr. 2 zu § 1 KSchG). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich gegen seine Vertragspflichten verstößt. Es genügt vielmehr auch eine fahrlässige Pflichtwidrigkeit. Liegt lediglich ein objektiv pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers vor, so kann dies ausnahmsweise eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen, wenn die Folgen für den Arbeitgeber erheblich waren. Ein nicht schuldhaftes Verhalten kann auch dann genügen, wenn aufgrund objektiver Umstände mit wiederholten Pflichtwidrigkeiten des Arbeitnehmers zu rechnen ist (vgl. BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte Gehaltsansprüche).

Nach dem das Kündigungsschutzgesetz beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist der Arbeitnehmer bei einem pflichtwidrigen Verhalten grundsätzlich zunächst verpflichtet abzumahnen. Dies gilt insbesondere für Störungen im Leistungsbereich (BAG, EzA § 1 KSchG Nr. 34, BAG, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; KR-Becker, § 1 KSchG Rdz. 234 m.w.H. auf Literatur und Rechtsprechung). Bei Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich ist die Abmahnung erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (vgl. BAG NZA 1997 S. 1281; Küttner/Eisemann, Personalbuch 2004, 11. Aufl., Kapitel 2 Abmahnung, Rdz. 14). Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (vgl. BAG DB 1986 S. 1339; Küttner/Eisemann a.a.O.; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Berkowsky, 2. Aufl., § 137 Rdz. 365).

c) Die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung unterscheidet sich mithin von der außerordentlichen Kündigung im Wesentlichen dadurch, dass bei der außerordentlichen Kündigung eine Lage gegeben sein muss, die es dem Arbeitgeber unter Abwägung der beiderseitigen Vertragsinteressen nicht zumutbar macht, den Arbeitsvertrag bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist bestehen zu lassen. Beide Kündigungsarten verlangen bezogen auf die Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers eine schuldhaft rechtswidrige Vertragsverletzung. Die für eine fristlose Kündigung in Frage kommenden Gründe sind regelmäßig geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

Die Rechtsprechung verlangt auch bei der ordentlichen Kündigung eine sog. Interessenabwägung (vgl. BAG AP Nr. 29 und 49 zu § 1 KSchG 69 Verhaltensbedingte Kündigung). Die möglichen Folgen für den Arbeitnehmer sind auch hier zu berücksichtigen (vgl. BAG a.a.O.). Deshalb verwischen die Grenzen beider Kündigungsarten (vgl. ErfK-Ascheid, 5. Aufl., § 1 KSchG Rdz. 325).

Bei der Differenzierung kommt es nach allem darauf an, ob der Arbeitnehmer ein Verhalten gezeigt hat, dass zunächst einer Kündigungsandrohung bedarf, um im Wiederholungsfall eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen zu können. Der Arbeitnehmer soll Gelegenheit erhalten, sein vertragswidriges Verhalten abzustellen. Ist davon auszugehen, der Arbeitnehmer werde auch in Zukunft Vertragsverstöße begehen, kommt unbeschadet der Interessenabwägung gemäß § 626 BGB eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Ist zwar nicht mit weiteren Vertragsverstößen zu rechnen, ist aber die einmalige Vertragsverletzung vom Verschuldensgrad oder vom Ausmaß der Auswirkungen her so schwerwiegend, dass die Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit entfallen ist, hängt es allein von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab, ob der Arbeitgeber ordentlich ohne Kündigungsankündigung (Abmahnung) oder fristlos kündigen kann (vgl. ErfK-Ascheid, a.a.O., Rdz. 326 und 327).

d) Sowohl für die fristlose als auch für die fristgemäße Kündigung gilt, dass der Arbeitgeber die tatsächlichen Voraussetzungen einer Vertragsverletzung darzulegen und zu beweisen hat.

Er muss zunächst den durch den Arbeitsvertrag begründeten aber zugleich determinierten Pflichtenkreis des Arbeitnehmers darlegen. Sodann muss er die Handlung des Arbeitnehmers beschreiben, die die behauptete Pflichtverletzung enthalten soll. Dabei genügen allgemeine Wertungen der Darlegungslast des Arbeitgebers nicht. Vielmehr muss der Arbeitgeber den tatsächlichen Sachverhalt in der Sache präzise, und soweit für die Bewertung des Sachverhalts erforderlich, in seinem kausalen Kontext darlegen (vgl. Münchener Handbuch für Arbeitsrecht/Berkowsky, a.a.O., § 154 Rdz. 49). Trägt der Arbeitnehmer Umstände vor, aus denen sich ergibt, dass eine Vertragsverletzung nicht vorliegt, muss nach der Rechtsprechung auch das Nichtvorliegen eines Rechtfertigungsgrundes dargelegt werden (BAG AP Nr. 97 zu § 626 BGB; Münchener Handbuch für Arbeitsrecht/Berkowsky, a.a.O., § 154 Rdz. 49). Der Arbeitgeber trägt mithin auch die Beweislast dafür, dass vom Arbeitnehmer vorgetragene Umstände, die die Vertragswidrigkeit des Verhaltens entfallen lassen, nicht vorliegen (BAG RzK I 10 h Nr. 30; Münchener Handbuch für Arbeitsrecht/Berkowsky, a.a.O., § 154 Rdz. 49). Der Arbeitnehmer muss die Rechtfertigung seines Verhaltens nicht beweisen. Er muss nur gemäß § 138 Abs. 2 ZPO solche, die Vertragswidrigkeit ausschließenden Umstände, in den Prozess einführen (vgl. Ascheid, Beweislastfragen im Kündigungsschutzprozess, S. 119; Münchener Handbuch für Arbeitsrecht/Berkowsky, a.a.O., § 154, Rdz. 50).

e) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt schon die Unbegründetheit der fristgemäßen Kündigung.

aa) Es kann dahinstehen, ob die Beklagte ihrer Darlegungs- und Beweislast ausreichend nachgekommen ist. Die Beklagte wäre verpflichtet, im Einzelnen darzulegen, dass die Rechtfertigungsgründe, die der Kläger für die Differenzen in der Aufschreibung zu den von den Zeiterfassungsgeräten der St. Bremen erfassten Zeiten angeführt hat, nicht vorliegen. Es erscheint der Kammer in hohem Maße zweifelhaft, ob die Hinweise auf Befragungen der Abteilungsleiter, auf Schreiben der Firma K. und die entsprechenden Beweisantritte ausreichend konkret sind, um darzulegen, dass der Kläger nicht im angegebenen Umfang zu Hause gearbeitet hat. Letztlich braucht die Kammer diese Frage nicht zu entscheiden, da die Kündigung in jedem Fall an der Interessenabwägung scheitert.

bb) Auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung bedarf es einer sorgfältigen und umfassenden Interessenabwägung. Dabei ist das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes bis zu den von ihm geplanten Ende gegenüberzustellen dem Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Maßgeblich ist stets das objektive Arbeitgeberinteresse. Sozial gerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes billigenswert und angemessen erscheint (vgl. BAG EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; KR-Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG Rdz. 210 und 409).

Auf Seiten des Klägers ist die unbeanstandete sehr lange Betriebszugehörigkeit von mehr als 32 Jahren, sein Alter von 58 1/2 Jahren sowie seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Ehefrau zu berücksichtigen. Auf Seiten der Beklagten sind das Interesse an einer ordnungsgemäßen Aufschreibung der Arbeitszeit sowie das Interesse, nicht von ihren Arbeitnehmern betrogen zu werden, aber auch die Auswirkungen auf den Betrieb und das Verhalten der anderen Arbeitnehmer sowie die Vorgesetztenstellung des Klägers zu berücksichtigen. Bei der Interessenabwägung muss aber zu Lasten der Beklagten auch berücksichtigt werden, dass sie offensichtlich mehr als neun Jahre lang die praktische Handhabung der Aufschreibungen des Klägers, die ganz offensichtlich nicht mit seinen Anwesenheitszeiten im Betrieb übereinstimmte, hingenommen hat, dass sie keine Kontrollen durchgeführt hat, dass sie dadurch zumindest beim Kläger den Eindruck erweckt hat, dass sie dem Kläger gestattete, betriebliche Tätigkeiten auch von zu Hause auszuführen. Denn ihre Ausführungen zu den vom Kläger behaupteten Tätigkeiten im häuslichen Bereich beziehen sich im Wesentlichen auf den Umfang der Tätigkeiten. Nicht aber ist substantiiert dargelegt worden, dass der Kläger überhaupt keine Tätigkeiten von zu Hause aus gemacht hat oder erledigt haben kann. Der Kläger fühlte sich für alle Schichten im Dreischichtbetrieb verantwortlich und hat auch die Koordinationen für alle drei Schichten gemacht. Es liegt auf der Hand, dass dabei auch kurzfristige Erkrankungen, Urlaube etc. bei den Aufgaben im personellen Bereich erledigt werden mussten, sodass der Kläger in gewissem Umfange nach Auffassung der Kammer auch gezwungen war, telefonisch Tätigkeiten für die Beklagte außerhalb seiner Arbeitszeiten zu erledigen. Die Autorität des Klägers im Betrieb hat ganz offensichtlich in den neun Jahren nicht gelitten. Auch seine Tätigkeit als Vorgesetzter hat der Kläger während der ganzen Zeit unbeanstandet ausgeführt. Es spricht deshalb viel dafür, dass ein Missverständnis vorgelegen hat, das auf der mangelnden Kontrolle der Beklagten beruhte und dass der Kläger nicht bewusst die Beklagte "betrogen" hat. Die Beklagte ist durchaus in der Lage, durch eine Abmahnung und durch konkrete Anweisungen an den Kläger, seine Arbeitszeit ausschließlich im Betrieb zu verbringen sowie durch entsprechende Kontrollen für die Zukunft dafür zu sorgen, dass ihre Anweisungen eingehalten werden. Das Interesse des Klägers, der auf dem Arbeitsmarkt in seinem Alter praktisch chancenlos ist, der eine 32-jährige unbeanstandete Tätigkeit für die Beklagte erledigt hat, an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes überwiegt deshalb nach Auffassung der Kammer bei weitem.

Die Kammer ist nach dem beiderseitigen Vortrag davon überzeugt, dass hier nicht bewusst Straftaten begangen wurden, die zweifelsohne auch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Vielmehr ist durch mangelnde Kontrolle, durch die Duldung von nicht kontrollierten Aufschreibungen, durch die Zahlung entsprechender Mehrarbeitsstunden eine Situation entstanden, die dem Kläger den Eindruck vermitteln musste, dass die Art seiner Tätigkeitserfüllung akzeptiert wurde. Die Beklagte ist in der Lage, für die Zukunft, ohne dass dadurch die Disziplin im Betrieb gefährdet würde, den von ihr gewünschten Zustand vollständiger Ableistung aller Aufgaben durch den Kläger im Betrieb wieder herzustellen.

f) Die fristlose Kündigung ist ebenfalls unbegründet. Natürlich ist ein nicht korrektes Aufschreiben von Arbeitszeit grundsätzlich ein Tatbestand, der eine fristlose Kündigung an sich rechtfertigt.

Für die Interessenabwägung gilt jedoch nichts anderes als bei einer fristgemäßen Kündigung. Im Gegenteil, wenn die Interessenabwägung schon bei einer fristgemäßen Kündigung zu Gunsten des Klägers ausgeht, tut sie dies erst recht bei einer fristlosen Kündigung, deshalb kann die Kammer auf die obigen Ausführungen verweisen.

3. Die Beklagte hat für den Fall, dass ihre Berufung gegen das den Kündigungen stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts keinen Erfolg hat, die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des Klägers nicht angegriffen. Die Kammer hat deshalb keine Veranlassung, das Urteil des Arbeitsgerichts insoweit abzuändern, da ein konkludenter Angriff der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur insoweit erfolgt ist, als er aus einem evtl. Obsiegen der Beklagten im Kündigungsschutzverfahren folgt. Denn nur in den Fällen, in denen die Beklagte mit ihrem Vorbringen durchdringen kann, die fristlose und die fristgemäße Kündigung seien wirksam, die Kündigungsschutzklage unbegründet, hängt der Weiterbeschäftigungsantrag unmittelbar von der Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren ab. In den Fällen, in denen der Kläger mit der Kündigungsschutzklage obsiegt, bedarf es Ausführungen in der Berufungsbegründungsschrift, wenn auch bei einem Obsiegen des Klägers nach Auffassung der Beklagten der Weiterbeschäftigungsanspruch nicht begründet ist (vgl. dazu: BAG Urt. v. 02.04.1987 - Az.: 2 AZR 418/86). Die Beklagte hat es jedoch versäumt, für diesen Fall ihre Verurteilung zur Weiterbeschäftigung anzugreifen.

Nach allem hatte die Berufung keinen Erfolg.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Wegen der Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben, wird auf § 72 a ArbGG hingewiesen.



Ende der Entscheidung

Zurück